Gemeinsamkeiten und Herkunft: Die (vermeintlich) neue Krise der Werbung (Teil 8)

Die Werbung steckt in einer Krise, keine Frage. (von Wedel: 2003)

Die Werbung ist in der Krise. Heißt es. Mal wieder. (Lankau 2004: 1)

Eine der wesentlichen Gemeinsamkeiten aller in den bisherigen Teilen diskutierten Ansätze, wie Guerilla Marketing, Viral Marketing oder eben Viral Advertising ist die sogenannte „Krise der Werbung“. Dabei lassen sich Werbeverdruss, Werbeflut und Werbevermeidung anführen (vgl. Zurstiege 2007: 143f).

Say ‚design‘ and people think Rams, Ives, Eames. Say advertising and they think Cillit Bang,

schreibt Russel Davies (2008) in seinem Blog. Und er hat nicht Unrecht. Die Einstellung der Gesellschaft Werbung gegenüber ist gespalten. Während die Werbung im Allgemeinen nicht gerade mit Wohlwollen kommentiert wird, erinnert man sich an die Werbung im Speziellen oft mit Freude, wie Zurstiege zeigt (2005: 26ff).

Während Zapping und digitale Videorekorder den Werbetreibenden zunehmend Sorgen bereiten, finden sich hunderte tausendfach betrachtete Werbespots auf YouTube. Die genannten Ansätze erfüllen ihren Nutzen für die Kommunikatoren, in dem sie durch ihre Verpackung als „Unterhaltungsgeschenk“ (Zurstiege 2007: 143) Werbevermeidung und –verdruss entgegenwirken.

I believe if you want to be successful in the world of viral, you need to play by the rules of entertainment, not the rules of selling. (Roddy 2006)

Durch dieses Einlassen auf Kategorien wie Unterhaltsamkeit und Außergewöhnlichkeit begibt sich die Werbung auf das Terrain der Unterhaltungsindustrie (vgl. Leonard 2006). Dass diese Tendenz nicht unbedingt neu ist, zeigt allerdings ein kurzer Blick in die Geschichte. Schon immer wurde nach Möglichkeiten gesucht, dem Auge der RezipientInnen etwas „besonderes“ zu bieten. Dieses Bestreben hat schließlich durch das Engagement angesehener Künstler im 19. Jahrhundert auch zur Ästhetisierung der Werbung geführt (vgl. Zurstiege 2007: 22f).

Neben Werbeverdruss und Werbevermeidung ist aber auch ein Vertrauensverlust in die Wirkung der Werbung zu bemerken. So verlieren viele Netzwerk-Agenturen, die Antwort der Werbebranche auf die zunehmende Globalisierung Ihrer Kunden (vgl. Siegert/Brecheis 2005: 137), zum Beispiel in Großbritannien signifikant Umsätze (vgl. Christie 2008).

Stellvertretend für alle Vertreter der Krise der Werbung soll an dieser Stelle also Philip Kotler, als wesentlicher Vertreter der Marketingdisziplin zitiert werden:

The average American is exposed to several hundred ad messages a day and is trying to tune out. TV advertising is losing its effectiveness because of growing advertising clutter, the increasing number of channels, the availability of zapping mechanisms, and reduced watching of television by certain groups. The result is that marketers must consider other methods of getting consumer attentions. (Kotler 2005)

Diese Argumentationskette – Informationsüberflutung, Explosion der Kanäle, Mediennutzungsverhalten – findet sich auch in vielen einleitenden Statements zu alternativen Ansätzen im Falle von Guerilla Marketing, wie bereits gezeigt sogar in einer der Definitionen. Wegen der steigenden Anzahl an verfügbaren Medien- und Werbeangeboten, digitalen Videorecordern und dem verändertem Mediennutzungsverhalten, vor allem durch das Aufkommen des Internets, wird also nach neuen Methoden verlangt, die diese „Krise der Werbung“ beheben sollen. Ob nun einzelne Kommunikationsinstrumente wie Online-Advertising, PR, Event-Marketing oder eben umfassende Ansätze wie die vielzitierte integrierte Kommunikation (vgl. Kotler 2006: 925f): sie alle haben gemeinsam, dass sie einen Anspruch auf die klassischerweise von der Werbung beanspruchte Führungsrolle im Marketingbudget der Unternehmen erheben.

Während diese beiden Entwicklungen das Entstehen von Kommunikationsformen, die auf Unterhaltung und digitale Weiterverbreitung von Medieninhalten abzielen, zum Teil erklären können, sind auch diese Tendenzen keine neuen Phänomene des 21. Jahrhunderts: Was dem Bürger der Informationsgesellschaft ihr „information overload“ und „advertising clutter“ ist, hatte im 19. Jahrhundert den schlichten Titel „Schilderpest“ (Zurstiege 2008: 129).

„Die Werbung“, wie Schmidt (2004: 53ff) in Referenz an Zurstiege schreibt, „war von Anfang an am Ende“. Der Vorwurf der lügenden Werbung, der permanente Manipulationsverdacht, die Reizüberflutung und die „allgemeine Sinnkrise“ wegen der vermuteten Unfähigkeit zu gesellschaftlich und kulturell relevanten Leistungen (vgl. ebd. 54), entstammen dem gesellschaftlichen Funktionssystem Werbung selbst. Es schafft Aufmerksamkeitsknappheit dadurch, dass sie Aufmerksamkeit erreicht und braucht „schlechte“ Werbung um mit guter zu punkten. Die Werbung schafft sich ihre Probleme zwangsläufig selbst und löst sie vorübergehend durch Anpassung an die jeweils veränderten gesellschaftlichen Bedingungen (vgl. 73f). Die Werbung, wie auch das Auftauchen „viraler Werbung“ zeit, lebt von neuen Problemen, der durch die Schöpfung differenzierender, neuer Ansätze entgegen getreten werden kann (vgl. ebd. 74). Die „Krise der Werbung“ ist also nicht neu, sondern permanenter Bestandteil des Systems, wenn auch immer unter anderen Vorzeichen.

Literatur:

  • Christie, Neil (2008): school report.
  • Davies, Russel (2008): on the goodness and badness of advertising
  • Kotler, Philip: Advertising vs. PR: Kotler on Kotler.
  • Kotler, Philip/Bliemel, Friedhelm (2006): Marketing-Management. Analyse, Planung und Verwirklichung. 10., überarbeitete und aktualisierte Auflage. München [u.a.]: Pearson Studium.
  • Lankau, Ralf (2004): Heul doch. Die Werbung und ihre Depression. In: Die Depression der Werbung. Ansichten von der Couch. Berliner Kommunikationsforum e.V. 2004.
  • Roddy, Kevin (2006) in Leonard, Devin (2006): Viral Ads: It’s an Epidemic. In: Fortune. New York: 2. Oktober 2006, 154. Jg., Heft 7/2006, 61.
  • Siegert, Gabriele/Brecheis, Dieter (2005): Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft. Eine kommunikationswissenschaftliche Einführung. Wiesbaden: VS, Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Schmidt, Siegfried J. (2004): Die Werbung ist vom Anfang an am Ende. In: Die Depression der Werbung : Berichte von der Couch / Berliner KommunikationsFORUM e.V. Sebastian Kemmler … (Hrsg.).Göttingen: Business Village, 53-77.
  • von Wedel, Feodor: Alles wird besser. werben & verkaufen Spezial. DWK vom 21.03.2003, S. 093
  • Zurstiege, Guido (2005): Zwischen Kritik und Faszination. Was wir beobachten, wenn wir die Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet. Köln: Halem.
  • Zurstiege, Guido (2007): Werbeforschung. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.
  • Zurstiege, Guido (2008): Der Konsum Dritter Orte. In: Kai-Uwe Hellmann (2008): Räume des Konsums: Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften.

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