Gemeinsamkeiten und Herkunft: Von der Publizistik zur (nützlichen?) Kommunikation (Teil 9)

Der vorangehende Auszug aus meiner Bakkalaureatsarbeit handelte davon, dass Ansätze wie Guerilla Marketing, Viral Marketing und eben „virale“ Werbung Kinder einer „Werbekrise“ sind und dass diese Krise keine neue, sondern der permanente Anpassungsprozess des Systems Werbung an sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen ist.

Eine weitere Gemeinsamkeit der diskutierten Ansätze ist, dass sie auf Publizität und die darauf einsetzende interpersonelle Kommunikation basieren. Während die Aufgabe der klassischen Werbung in den meisten Fällen mit ihrer Einschaltung erfüllt ist, ist sie bei viraler Werbung erst der Beginn des eigentlich erwünschten Kommunikationsprozesses zwischen den Rezipienten.

Die Ansätze verbinden also die Massenkommunikation im Sinne einer Mitteilung an ein disperses Publikum und die persönliche oder durch das Internet vermittelte Kommunikation. Die wesentliche Herausforderung für die Werbetreibenden und damit den von ihnen beauftragten Dienstleistern ist also eben jene Verknüpfung klassischer Formen der Massenkommunikation mit den Möglichkeiten der Individualisierung und Messbarkeit im Internet.1

An der Schnittstelle von der Werbung, die jenen, die personalisiert erreicht werden sollen, nicht gefällt und der Werbung, deren Wirkungslosigkeit bemängelt wird, kommt nun jenen Agenturen eine wichtige Rolle zu, die Dienstleistungen an der Schnittstelle zwischen Design, Kommunikation und den „neuen“ Medien anbieten. In den vergangenen Jahren sind diese Agenturen auch immer weiter in die Tätigkeitsbereiche klassischer Werbeagenturen vorgestoßen.2 3

Welche Verbindung besteht zwischen „viralen“ Maßnahmen und diesen Dienstleistern? Was ist der Unterschied zwischen klassischen Werbeagenturen und Agenturen die aus dem Online/Design-Bereich in die Werbung vorgedrungen sind? Der Unterschied liegt darin, dass in letzteren länger als in der klassischen Werbung auf die Nützlichkeit eines Medienangebots für den Benutzer, oder allgemeiner ausgedrückt, die „User Experience“4 Wert gelegt wurde. Ein Teil davon bezieht sich auf die vielbeschriebene Usability – also die Benutzbarkeit – von Medien, mehr und mehr allerdings ging es auch um Utility, also die Entwicklung von Online-Erlebnissen, die einen Nutzen für die Rezipienten bieten. Dieser Entwicklung folgend wird das „Account Planning“ in dieser Disziplin zum Teil auch als „Experience Planning“ diskutiert (vgl. Zeus Jones 2008). Während sich nun Klassik und Interaktiv immer damit begnügen mussten, dass sie das was sie beobachten wollen, eigentlich nicht beobachten können5, hatte die Online-Kommunikation den Vorteil der unmittelbaren, digitalen Messbarkeit des Benutzerverhaltens. Die Berücksichtigung von Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen und die Verbreitung des Internet, in dem sich die Menschen in Communities, Blogs und Foren vernetzen – sind also zwei weitere Gründe für das Eindringen des „viralen“ in die Werbung.

virale_werbung

Das Phänomen „Virale Werbung“ kann also als Kommunikationsform innerhalb des „Paradigmas“ der Wirksamkeit interpersoneller Kommunikation verstanden werden, das im Spannungsfeld von Ansätzen der viralen Kommunikation, der Unkonventionalität und Unterhaltsamkeit eingebettet ist in den Diskurs um die (permanente) Krise der Werbung.

1 Die Ansätze beinhalten – wie Zurstiege (2007: 144) anführt – Annahmen aus dem 2-step-flow, Theorien der Medienaneignung, der Agenda-Setting-Forschung, Theorien sozialer Netzwerke und der Diffusionsforschung.

2 Wie zum Beispiel die Interaktiv-Agentur R/GA, die inzwischen in Markenführung und –design expandiert (vgl. Aditham 2008).

3 Oder Tribal DDB, die als „Interaktiv“-Agentur zur Global Agency of the Year gewählt wurde.

4 User Experience Design beschäftigt sich mit der Gestaltung einer optimalen Erfahrung von Produkten, Unternehmen und Marken unter Berücksichtigung der Erwartungen und Bedürfnisse der Menschen(vgl. Garrett 2002: 21, vgl. Morville 2004).

5 „Da die Werbewirtschaft keine Wirkungen beobachten kann, behilft sie sich, in dem sie etwas anderes beobachtet. (Vollbrecht 2002: 772, zit. n. Zurstiege 2007: 174)

Literatur:

  • Aditham, Kiran (2008): R/GA Branches Out. In: Creativity, August 14 200.
  • Garrett, Jesse James (2002): The elements of user experience: user-centered design for the web. Indianapolis, Ind. [u.a.]: New Riders.
  • Morville, Peter (2004): User Experience Design. Semantic Studios.
  • Vollbrecht, Ralf (2002): Marken – Mythen – Images. Über die Ko-Evolution von Werbung und Verbrauchern und die Figur des Re-Entrys in die Werbung. In: Willems, Herberg (Hrsg.) (2002): Die Gesellschaft der Werbung. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 771-783.
  • Zurstiege, Guido (2005): Zwischen Kritik und Faszination. Was wir beobachten, wenn wir die Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet. Köln: Halem.
  • Zurstiege, Guido (2007): Werbeforschung. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.
  • Zeus Jones (2008), UX Is The New Account Planning.

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