Werbung und die Wichtigkeit von Themen (Teil 13 der Serie zu viraler Werbung)

(Zu) lange hat’s gedauert, aber nun möchte ich in den nächsten Tagen die restlichen Teile meiner Bakkalaureatsarbeit zum Thema „virale“ Werbung und dann die ganze Arbeit als pdf posten. Immerhin steht ja die nächste – und letzte – Arbeit vor der Türe. Aber dazu später mehr … Der letzte Teil war eine Neuinterpretation des bekannten 2-step-flow Ansatzes. Nun geht es darum welches Verhältnis zwischen Werbung und der Wichtigkeit von Themen in der Gesellschaft besteht.

Im Abschnitt über den Nutzen, den RezipientInnen aus Werbung ziehen wurde gezeigt, dass Werbung in interpersoneller Kommunikation verwendet wird: als Anschlussthema, als Thema für sich, als Spielwiese zur Interpretation der Welt und sich selbst, zur ritualisierten Kommunikation, zur Selbstpositionierung.

Ritson und Elliot argumentieren nun, dass sich diese sozialen Interaktionen rund um Werbeangebote nicht trotz, sondern wegen ihrem einfachen, sich wiederholenden und alltäglichen medialem Auftreten – also wegen ihrer Präsenz – beobachten lassen (vgl. Ritson/Elliot 1999: 274): Nur durch ihre Allgegenwärtigkeit wird die Werbung demnach überhaupt zum Objekt sozialer Prozesse und nur deswegen honorieren wir die Überraschung durch Werbungen die unsere Erwartungen enttäuschen (vgl. Zurstiege 2005: 192ff). Auch Lazarsfeld, Berelson und Gaudet gehen bei der Beschreibung des ersten Schrittes im Aktivierungsprozess davon aus, dass die Präsidentschaftskampagne durch ihre Allgegenwärtigkeit bei fast allen Menschen zu Aufmerksamkeit führt, was in weiterer Folge zu erhöhtem Interesse und erhöhtem Medienkonsum – und wohl auch Gesprächen – führt (vgl. Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1955: 82).

Damit wird implizit eine andere Wirkung angesprochen, die sich seit der Studie von McCombs und Shaw von 1972 in der Medienwirkungsforschung großer Beliebtheit erfreut, nämlich jene des Agenda-Settings (vgl. Bonfadelli 2004: 237, Weaver 2007: 143). Die Kernaussage dieser Perspektive lässt sich nach Cohen (1963: 13, zit. n. McCombs/Shaw 1972: 177) am besten folgendermaßen zusammenfassen:

[The Media, Anm. T.W.] may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about.

Der Agenda-Setting-Effekt bezeichnet demnach ein kognitives Phänomen. Menschen lernen von den Schwerpunkten, die die Medien setzen über die Wichtigkeit von Themen, die wir in unserer eigenen Umwelt nicht selbst beobachten können (vgl. McCombs/Shaw 1972: 177). Wenn für die Medien etwas zur Neuigkeit wird, weil es „wichtig“ ist, wird für Menschen etwas „wichtig“, weil es in den Medien ist.

Um diese Hypothese zu überprüfen wurden 1968, wiederum während einer Präsidentschaftskampagne, in Chapel Hill 100 unentschlossene Wähler befragt, welche Themen ihnen in der Kampagne besonders wichtig wären. Gleichzeitig wurden die redaktionellen Inhalte der Zeitungen, Magazine und TV-Stationen inhaltsanalytisch untersucht. Die Untersuchung zeigte eine starke Korrelation zwischen den Schwerpunktsetzungen der Medien und der Wichtigkeit der Themen für die Bevölkerung.

In short, the data suggest a very strong relationship between the emphasis placed on different campaign issues by the media (reflecting to a considerable degree the emphasis by candidates) and the judgments of voters as to the salience and importance of various campaign topics. (ebd.: 181)

Auch wenn Korrelationen keine Kausalität bedeuten müssen legen die Ergebnisse nahe, dass die Menschen nicht die Agenda von einzelnen Medienangeboten übernehmen – was die Wirkung selektiver Wahrnehmung zurückweisen würde –, sondern die zusammengesetzte Repräsentation der Wirklichkeit durch die Summe der Medienangebote (vgl. ebd. 181ff).

In short, the political world is reproduced imperfectly by individual news media. Yet the evidence in this study that voters tend to share the media’s composite definition of what is important strongly suggests an agenda-setting function of the mass media. (ebd.: 184)

Wenn nun über die Medienagenda das Bild, das wir von der Welt „da draußen“ haben, konstruiert wird, stellt sich die Frage inwiefern auch die Werbung über die Medien „Wichtigkeit“ auf die von ihr beworbenen Produkte projezieren kann. Sutherland und Galloway argumentieren, dass es ein wesentliches Ziel der Werbestrategie sein muss, die Aufmerksamkeit der KonsumentInnen auf jene Werte, Produkte, Marken oder Eigenschaften zu lenken über die sie nachdenken sollen, anstatt zu versuchen sie zu überzeugen, etwas bestimmtes über sie zu denken (vgl. Sutherland/Galloway 1981: 26). Ghorprade wiederum konnte einen starken Zusammenhang zwischen Werbeagenda und Publikumsagenda in einem US-Wahlkampf zeigen (vgl. Ghorprade 1986: 26). Allerdings ist in diesem Zusammenhang nicht nur jener Prozess von Bedeutung, der in der Werbung meistens mit „top of mind“ und „first brand awareness“ (vgl. ebd.) gemeint ist, nämlich der Weg von Werbung zu Awareness und zur Kaufentscheidung. Es konnte darüber hinaus nämlich auch gezeigt werden, dass Menschen von der Häufigkeit der Werbung für eine Marke – also von deren medialer Präsenz – auf die Popularität einer Marke schließen (vgl. Sutherland/Galloway 1981: 28).

[…] the media probably do not often influence opinions. Rather, they influence salience and the climate of opinion – what people think other people think. This, rather than their own opinion, is the stimulus for action for many people (most probably those who are ‘low involved,’ as Krugman suggests, and who do not have a well-formed personal opinion). (Sutherland/Galloway 1981: 28)

Die Agenda-Setting-Forschung stellt also die alte Frage nach der Abbildung der „realen“ Welt und der Frage wie die „soziale“ Welt in den Köpfen der Menschen zustande kommt. Wenn Menschen die komplexer werdende Umwelt nur mehr über Medienangebote beobachten können, so ist eben das wichtig, was in dem Bild, dass in den Medien konstruiert wird, zu sehen ist

Geht man von dieser Perspektive auf Medienwirkungen aus, so stellt sich für die Werbung die Frage der Präsenz stärker als jene der Persuasion. Wenn die erwartete Wirkung von Werbung nämlich jene der erhöhten Salienz der Themen beim Publikum ist, so lautet das Ziel der Werbung eine möglichst hohe Präsenz der eigenen Marken, Werte und Eigenschaften in jenen Medien, die von der Zielgruppe rezipiert werden. An dieser Stelle stellt sich wiederum die Frage welche Medien genutzt werden. Während für bestimmte Zielgruppen der Werbung die Medienagenda durch TV, Radio und Zeitungen abgedeckt wird – womit die „virale“ Verbreitung über das Internet an Bedeutung verliert, wird für andere möglicherweise die Agenda durch Online-Zeitungen, Blogs und Communities gebildet.

Während Werbung im allgemeinen das Ziel haben könnte, über Präsenz in den Medien als Salienz in den Köpfen der Menschen zu wirken, kann virale Werbung über die interpersonelle Verbreitung über Blogs- und Communities ein Weg zu dem Ziel sein, auf die „Medien“agenda für diese Zielgruppe zu gelangen. Oder von einer anderen Seite betrachtet: Man könnte überprüfen, ob Werbung, die sich viral verbreitet als die Sichtbarmachung der Salienz der Marke in der Zielgruppe verstanden werden kann. Dies könnte insbesondere dann zutreffen, wenn es sich um Werbung handelt, die ausschließlich über die interpersonellen Netzwerke ihre Verbreitung gefunden hat und nicht vorher über massenmediale Kanäle verbreitet wurde.

Geht man nun davon aus, dass mehr darüber gesprochen wird, was bereits wichtig ist, als über andere Dinge und die Weiterleitung einer Werbung auch nichts anderes ist als eine der soziale Interaktionen die rund um Werbung gezeigt werden konnte, kann man vermuten dass Werbung für wichtige Marken eine höhere Chance auf virale Verbreitung hat, als jene für unwichtige Marken, ganz ähnlich der saloppen Vermutung dass auch unspektakuläre Aktionen berühmter Menschen mehr Resonanz finden als möglicherweise spektakulärere Aktionen unberühmter Menschen.

Literatur:

  • Bonfadelli, Heinz (2004): Medienwirkungsforschung. 1. Grundlagen und theoretische Perspektiven. 3., überarb. Aufl. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.
  • Cohen, Bernard C. (1963): The Press and Foreign Policy. Princeton: Princeton University Press.
  • Ghorpade, Shailendra (1986): Agenda Setting: A Test of Advertising’s neglected Function. In: Journal of Advertising Research, 26. Jg., Heft 4/1986, 23-27.
  • Lazarsfeld, Paul F./Berelson, Bernard/Gaudet, Hazel (1960): The people’s choice. How the voter makes up his mind in a presidential campaign, 2. ed., 5. print.New York, Columbia Univ. Pr.
  • McCombs, Maxwell E./Shaw, Donald L. (1972): The Agenda-Setting Function of Mass Media. In: The Public Opinion Quarterly, 36. Jg., Heft 2/1972, 176-187
  • Ritson, Mark/Elliot, Richard (1999): The Social Uses Of Advertising: An Ethnographic Study Of Adolescent Advertising Audiences. In: Journal of Consumer Research, 26. Jg., Heft 3/1999, 260-277.
  • Sutherland, Max/Galloway, John (1981): Role of Advertising: Persuasion or Agenda Setting? In: Journal of Advertising Research. 21. Jg., Heft 5/1981, 25-29.
  • Weaver, Donald H. (2007): Thoughts on Agenda Setting, Framing, and Priming. In: Journal of Communication. 57. Jg., Heft 1/2007, 142-147.
  • Zurstiege, Guido (2005): Zwischen Kritik und Faszination. Was wir beobachten, wenn wir die Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet. Köln: Halem.

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